Abstract beauty

Stefan Gunnesch

Stefan Gunnesch – Abstract beauty

Vernissage
13. September 2018, 19 UHR

Ausstellungsdauer
13. – 28. September 2018

Öffnungszeiten

Di & Do von 9 bis 18 Uhr
Mi & Fr von 9 bis 16 Uhr
Sa & So von 13 bis 17 Uhr
und nach Vereinbarung

Text zur Ausstellung

von Christina Hünsche

Kern von Stefan Gunneschs Werken ist die Frage nach Identität, die er ganz konkret an das Körperliche stellt, indem er mit seinen im Wortsinn oberflächenbetonten Arbeiten die Haut als Oberfläche schlechthin fokussiert. Alle künstlerischen Arbeiten von Stefan Gunnesch sind Collagen. Als solche nähern sie sich der Körperlichkeit per se von zwei Polen, dem der Auflösung und dem der Zusammenfügung. Der mit der Haut einhergehende Prozess der Häutung ist als Vergehen und Neuwerden gleichermaßen zu betrachten.


Porträts symmetrischer, ansehnlicher Gesichter, Aufnahmen graziler, athletischer Körper sind die Motive von Gunneschs Arbeiten. Die grobkörnigen Schwarz-Weiß-Fotografien können von ihm selbst oder aus Kooperationen mit anderen Künstler*innen stammen, aber auch zufällige Funde können Grundlage sein. So ganz wird man das als bloßer Betrachter nicht feststellen können. Dies ist durchaus Teil des Konzepts. Es geht darum, den Fotos durch Entfremdung und Anonymisierung zu einer neuen, eigenen Identität zu verhelfen. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Geschlecht, das in Gunneschs Arbeiten ins Androgyne aufgelöst wird.

Dafür werden Gesichter zerschnitten, Körper in Gliedmaßen zerlegt, dann die Einzelteile verschoben, neu montiert, vielleicht erweitert, übereinander geschichtet und geklebt. So weit, so üblich und so bekannt für die Technik des Collagierens. Darüber hinaus allerdings lässt Stefan Gunnesch die Malerei in seine Bilder hinein. Ob nun als flächiger Farbauftrag (wie in der Serie „Daemonien“), als wie mutwillig an ihrem Platz gelandete grell-farbige Kleckse (wie in „The Anatomie of Melancholy“) oder als filigraner Strich floral anmutender Elemente (ebenfalls in „Daemonien“) – sie alle übernehmen und erweitern das Entfremden, Kaschieren, Maskieren, Schichten und Neuerschaffen.

Mal licht, mit harten Konturen und Schnitten, sichtbaren dominanten Flächen, mal eher düster, mit dunkler samtiger Flächigkeit und das Motiv der Vanitas beinahe plakativ durch den Totenschädel ins Bild tragend, entstehen durch diese verschiedenen zum Zuge kommenden Techniken Werke, die ausgesprochen haptisch sind. Sie bauen auf der Ent- und Neuzusammenstellung dessen, was sie zeigen, ins Räumliche auf: Der Farbauftrag erweitert das Montieren und Schichten von der Struktur der Fläche in die des Raums.

Die intensive Auseinandersetzung mit der Haptik trägt das Material, das zerschnitten und neu zusammengefügt wird. Gunnesch collagiert bevorzugt mit Naturpapier und Naturkarton, die in ihrer Groß- und Offenporigkeit hautähnlichen Charakter haben. Ungestrichenes Papier mit höherem Volumen und höherer Grammatur hat eine Sensorik, die Material und Motiv aufs Engste verbindet. Gunnesch nimmt hierfür auf Materialebene Homogenität in Kauf. Diese scheint allerdings Kalkül zu sein, denn so entsteht eine ganz eigene Ästhetik, in der das Material die Versatzstücke verschmilzt, die harten Kanten besänftigt, statt das Zerhackstückelte zusätzlich zu betonen. Jener erste Eindruck, es mit einem Körper statt mit etwas Zusammengesetzten zu tun zu haben, ist also durchaus erwünscht.

Letztlich erweisen sich Gunneschs Collagen nicht nur als raum-, sondern vor allem auch als zeitbasierte Stücke. Sie entstehen in langwierigen, zwar konzeptuell nie festgelegten, aber wohlüberlegten, von Reflexionen durchdrungenen Prozessen, die man als dauernde Schwebezustände bezeichnen könnte. So ‚reifen‘ die Werke über einen längeren Zeitraum in den Händen und Gedanken des Künstlers, bis er sie aus seinem Atelier entlässt. Es sind vom Prozess, von ihrem Werden ergriffene Arbeiten, die mit ihrer intuitiven Fertigstellung beendet sein oder aber auch zu werkübergreifenden Fortsetzungen führen können, aus denen später Serien entstehen.

Alle Arbeiten des Künstlers und Buchgestalters Gunnesch entstehen in seinem Leipziger Studio „Bildschriftlich“. Sie sind auf internationalen Buchmessen und Künstlerbuchausstellungen zu sehen und Bestandteil renommierter Künstlerbuchsammlungen wie die der MOMA NYC, des Literaturarchivs Marbach, der Chicagoer Joan Flasch Artists’ Book Collection oder der Bibliothèque nationale de Luxembourg.

Gunnesch lehrte von 2011-17 Buchkunst an der Burg Giebichenstein und war zuletzt Jurymitglied des Förderpreises für junge Buchgestaltung 2018 der Stiftung Buchkunst, der in Zeiten digitalen Umschwungs herausragende, in sich medienkritische und oft hybride Buchformen würdigt und dessen Preisträger er selbst 2017 war.

In der Ausstellung „Abstract beauty“ im FANG Studio präsentiert Gunnesch nur neueste, bisher nicht ausgestellte Arbeiten.

Ausgewählte

Arbeiten

Vita

Stefan Gunnesch

1981
geboren

seit 2018
tätig als freiberuflicher Gestalter und Künstler

2016 – 2018
Teilnahme an internationalen Ausstellungen, u. a. in Tokio, New York und Wien; Vorträge zum Thema Collage und Künstlerbuch u. a. an der Kunsthøgskolen in Oslo (Norwegen) und im Klingspor Museum, Offenbach am Main.

2011 – 2017
künstlerischer Mitarbeiter in der Studienrichtung Buchkunst, Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle

2010 – 2011
Workshops und Lehraufträge im Bereich Illustration, Typografie und Buchgestaltung

2009
Gründung Atelier Bildschriftlich

2009
Diplom (mit Auszeichnung)

2003 – 2009
Studium im Fach Kommunikationsdesign, Hochschule für Bildende Künste Braunschweig

lebt und arbeitet in Leipzig

Preise / Anerkennungen

2017
Auszeichnung Förderpreis für junge Buchgestaltung 2017, Stiftung Buchkunst

2016
Shortlist Stiftung Buchkunst, Förderpreis für junge Buchgestaltung

2015
Nominierung Newcomer 2015, German Design Award

2014
Nominierung Newcomer 2014, German Design Award

2008 
Berliner Type. Ehrendiplom Illustration

2007 
ARNO 2007. Sonderpreis für Illustration

Arbeiten in Museen, öffentlichen Sammlungen und Bibliotheken

– Ampersand Foundation, Johannesburg (ZA)
– Bayerische Staatsbibliothek (D)
– Bibliothèque nationale de Luxembourg (LUX)
– Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (D)
– Brooklyn Museum, New York (USA)
– Columbia University, New York (USA)
– Deutsches Literaturarchiv Marbach (D)
– Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig (D)
– Joan Flasch Artists’ Book Collection, Chicago (USA)
– Kunstbibliothek, Berlin (D)
– Klingspor Museum, Offenbach (D)
– MAK, Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien (AT)
– Metropolitan Museum of Art, New York (USA)
– Museum of Modern Art, New York (USA)
– Staatsbibliothek Berlin (D)
– Van Abbemuseum, Eindhoven (NL)
– The Poetry Library, London (GB)
– Toppan Printing Museum, Tokio/Tokyo (JP)
– University of Pennsylvania, Philadelphia (USA)
– Weserburg, Museum für moderne Kunst, Bremen (D)
– Wienbibliothek, Wien (AT)
– Yale University, Connecticut (USA)

Arbeiten in privaten Sammlungen

– Australien
– China
– Deutschland
– Israel
– Italien
– Niederlande
– Südafrika
– Schweiz
– USA

Collage, Malerei / 2018

TRANSFORMATION

Text

von Christina Hünsche

Vor einer gemalten weißen Fläche mit deutlichem, aber in der Linienführung unentschiedenem Auftrag ein schwarz-weiß fotografierter Körper, so scheint es. Der linke Arm gestreckt und kopfüber gebeugt, die rechte Schulter mit angewinkeltem Arm vom Betrachter abgewandt, in eine andere, dem Betrachter wiederum zugewandte rechte Schulter sich hineinschiebend.

Zwei rechte Schultern also. Dafür kein Kopf. Stattdessen graue Schemen, die sich in harter Kontur, aber ohne bestimmte Form von der den Körper umgebenden weißen Fläche absetzen und sie zugleich von ihm trennen. Und dann noch ein weiterer linker Arm, der ungefähr in der Bildmitte nach unten ragt, um im unteren rechten Bildbereich neben einem überdimensionierten Bauchnabel einen Daumen in die porige Oberfläche zu graben.

Was sich dem flüchtigen Blick von Weitem noch als, wenn auch ungeheuerlich verrenkter, Körper präsentieren mag, der sich gegen eine ihn umgebende weiße Fläche aufzubäumen scheint, löst sich bei näherer Betrachtung in eine zerstückelte, fragmentierte, neu kompilierte Vielheit, ein Zuviel und Zuwenig von Körpern und Gliedmaßen auf. Ihre neue Zusammensetzung führt nicht zu anatomischer Vollständigkeit, jedoch zu etwas vollständig wirkendem Neuem. Etwas Anderem, das durchsetzt ist von einer weißen Fläche, die dieses Neue nicht nur umgibt, sondern durchdringt und kaschierend an der Neuentstehung beteiligt ist.